Eberhard Bitter

Texte

„Ein Augenblick – für immer“

von Leane Schäfer
Zum Text

 „Siehst du nicht an meinen Bildern, dass ich eins und doppelt bin?

von Dr. H. Ühlein
Zum Text

„Das nackte
Leben“

von Ralph Gueth
Zum Text

Ein Augenblick – für immer

»Der Künstler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.« Caspar David Friedrich

„Dass das äußere Erscheinungsbild die Wirklichkeit nicht wahrhaftig abzubilden vermag, ist nicht erst seit dem Romantiker Friedrich bekannt. In seinen verklärenden Naturdarstellungen und Sehnsuchtsbildern setzte er auf die Dominanz der Innenbilder, wobei die menschliche Figur eine zentrale Rolle spielte.

Der Mensch steht auch im Mittelpunkt der Malerei von Eberhard Bitter. Bildfüllend, ja zum Teil das Bildformat sprengend, rückt er den Menschen ins Zentrum. Im Gegensatz zu C. D. Friedrich verzichtet er jedoch auf eine Lokalisierung, eine Verortung der Figur in eine bestimmte Umgebung oder Landschaftsszene. Er konzentriert sein Augenmerk völlig auf das Individuum, das dem Betrachter in der Regel nackt und ungeschminkt gegenübertritt.

Dazu wird die Leinwand von Eberhard Bitter zunächst mit einem farbigen Malgrund überzogen. Schattierungen und Malspuren werden hier nur behutsam eingesetzt. Aus diesem Fond scheinen sich dann die Figuren hervorzuschälen, ja zwingend hervorzubrechen. Sie sind plastisch wie Skulpturen angelegt und erinnern an anatomische Studien menschlicher Körper. Sie schaffen Raum durch ihre Nahansichtigkeit oder Variationen mehrdimensionaler Ansichten. Dies gilt gleichermaßen für die Einzelfiguren wie auch für Paare oder Figurengruppen.

Ausgewählt ist ein bestimmter Moment, in dem sie dem Betrachter gegenüber treten. Dies können zufällige Formationen oder Konstellationen sein, wie die sich beiläufig begegnenden Passanten in dem Bild »Wollen…«. Es können aber auch Bewegungspositionen sein wie in der durch Tanz und Improvisation beeinflussten Serie von Arbeiten wie »durchlebt«, »Findung« oder »An-Ziehung«. Meist sind es exaltierte Positionen mit ausladenden Körpergebärden, die durch extreme Auf- oder Untersicht noch verstärkt werden. Aber es gibt auch das andere Extrem, wie die Beispiele aus der Serie »Ruhe-los« (siehe Abbildung oben) zeigen, deren Sujet der in sich gekehrte, zusammengekauerte Körper ist. Dargestellt ist nur ein Augenblick, doch gemalt ist er für immer. Im nächsten Moment kann die Gebärde sich verflüchtigen, der Schritt vollführt sein, der Sprung beendet oder die Ruhephase vorbei. Das Thema der Malerei ist der augenblickliche Zustand. Die im Fluss befindliche Position zwischen Vergangenheit und Zukunft wird für einen Moment angehalten. Daraus resultiert, dass die Zeit für die Betrachtung, für die Empfindung des Werks, sich unendlich ausdehnen kann. Der Augenblick wird für die Ewigkeit eingefroren.

Bei Eberhard Bitter bestimmt das Helldunkel seiner Malerei die Erscheinung der Figur. Dabei verzichtet er völlig auf Kleidung, die normalerweise den Körper einhüllt oder verdeckt. Mit expressionistischem Pinselgestus setzt der Maler seine Farbflecken, Striche und Linien. Wie in einer anatomischen Zeichnung werden die Körperkonturen des entblößten Leibes markiert, einzelne Muskelpartien oder Sehnenstränge aufgezeigt. Eine Idealfigur finden wir selten. Es sind die von der Realität, von den Spuren des Lebens, des Alters gezeichneten Körper, die wir aus dem Alltag kennen.

Der unbekleidete Körper bei Eberhard Bitter bezieht sich zwar auf ein konkretes Individuum, wird aber zum Ausdruck einer abstrakt allgemeinen Idee, das Dasein des menschlichen Wesens.

In seinen Bildern versucht er, die Präsenz einzufangen. Die Präsenz ist der Augenblick, der den Gang der Geschichte unterbricht. Zur Erinnerung daran, dass etwas da ist, bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat. Diese Vorstellung kann man mystisch nennen, da es sich um das Geheimnis des Seins handelt.“

Leane Schäfer
Direktion Kunstmuseum Gelsenkirchen

Siehst du nicht an meinen Bildern, dass ich eins und doppelt bin?

Zu den Diptychen von Eberhard Bitter

Johann Wolfgang von Goethes Gedicht »Gingo biloba« mündet in die wunderbare Frage: »Fühlst du nicht an meinen Liedern, daß ich Eins und doppelt bin?«

Dieser Frage voraus geht die lyrische Betrachtung eines Gingko-Blattes, denn je nach Blickrichtung kann man die Aufteilung eines Ganzen beschreiben oder die Einswerdung von zwei Teilen.
Die paradoxe Doppelnatur (Trennen/Vereinen; Einheit/Vielheit), die Goethe in der Natur beobachtet, bezieht er sowohl auf seine Kunst (»meine Lieder«), als auch auf sein eigenes Wesen. Knapp 200 Jahre nach des Dichters Worten wären wir vielleicht froh, wenn wir nur »Eins und doppelt« sein könnten. Heute müssen multiple Identitäten gelebt werden, und die Frage ist, ob wir es noch vermögen, in zerstreuter Vielheit das Gefühl einer sammelnden Einheit zu entwickeln.

Schauen wir auf das Werk von Eberhard Bitter, so fällt eine nicht geringe Anzahl zweiteiliger Bilder auf, zwar nicht hälftig geteilt, wie das klassische Diptychon, sondern meist im Verhältnis von etwa ein Drittel zu zwei Drittel. Auch materialiter sind die Bilder getrennt, separate Leinwände also, die doch als Ganzes komponiert scheinen: »Wozu ein JA, wenn ihm ein ABER folgt«, »Wenn in der Begegnung bereits die Trennung liegt«, »Unsere Nähe, unsere Haut«, »Voneinander«, »Möglichkeiten, die wir ergreifen können, oder nicht«, »… zuhören kann, dann passiert etwas …«.

Trotz postmodern multipler Identitäten bleibt das menschliche Leben von grundsätzlichen Zweiheiten bestimmt, ist unser Wesen in ewige Bipolaritäten eingespannt, etwa zwischen Hell und Dunkel, Chaos und Ordnung, Männlich und Weiblich, Leben und Tod. Ein solcherart geprägter Blick erkennt in Bitters Diptychen die motivische Ausdifferenzierung der zweipoligen Spannung, worin die spezifische Wirkung der großformatigen Arbeiten begründet ist. Wir sehen menschliche Posen, Gesten, Körperhaltungen, dargestellt in den Gegensatzpaaren offen/geschlossen, einsam/gemeinschaftlich, euphorisch/depressiv, gekrümmt/gestreckt, sich umschlingend/sich meidend, tanzend/kauernd.

Maltechnik und Komposition unterstützen den Charakter der (motivischen) Zweiheit, denn der erste Blick auf die Bilder trügt. Die Figuren sind gar nicht so deutlich konturiert und komplett ausgearbeitet, wie unser Auge zunächst glauben macht. Erst auf den zweiten, ruhigeren, analytischen Blick erkennen wir, dass uns der Künstler das Ganze nur im Fragmentarischen zeigt: keine Gesichter, Körperstudien zwischen schneller Skizze und elaborierter Malerei, mit dem Pinsel angefertigte Zeichnungen fast, die uns Figuren in mehrdeutigen Räumen zeigen oder auf unsicherer Fläche, brüchig gezeigte Figuren, durch deren transparente Konturen sich der Hintergrund in den Vordergrund drängt – oder umgekehrt? Wird Schatten zu Licht oder Licht zu Schatten? Wird aus Zuwendung Abneigung oder aus Ferne Nähe? Unser Auge ist in Bewegung, versucht Querverbindungen aufzubauen und Bezüge herzustellen, was das eine Mal gelingt und ein anderes Mal fehlschlägt und dann wieder gelingt.

Es ist diese ständige Pendelbewegung unseres Blickes, welche die Bildteile miteinander kommunizieren lässt und welche in dieser Kommunikation sehenden Auges die Widersprüche und Gegensätze zwar nicht auflöst oder einschmilzt, sondern als sich gegenseitig bedingende Wesenszüge erkennen lässt. Nicht das Entweder-Oder liegt in den Bildern Eberhard Bitters, sondern das Sowohl-Als auch: sowohl die Umarmung als auch die Trennung, sowohl die offenen als auch die verschränkten Arme, sowohl das einsame Kauern als auch der ausgelassene Tanz.

Doch nicht nur wir als Betrachter lassen die Bildteile und Motive in Austausch und Beziehung miteinander treten, der Maler selbst stellt eine bestimmte Form des Kommunizierens dar. Viele seiner Bilder sind von der »Contact-Improvisation« inspiriert, einer spontan-tänzerischen Aktion, in welcher sich der Dialog der Körper frei entwickeln kann, und zwar jenseitig unserer stereotypen Bewegungsabläufe und Körperhaltungen.

Die Contact-Improvisation buchstabiert ein neues Alphabet der Körpersprache, rätselhaft bisweilen, überraschend im Gestus, offen gegensätzlich und kaum abschließend zu deuten – wie die Diptychen von Eberhard Bitter.

Dr. Hermann Ühlein

Das nackte Leben

„Kain und Abel – diesen Titel habe ich meiner Zeichnung von Eberhard Bitter gegeben, die in meinem Arbeitszimmer hängt. Sie selbst hat keinen Titel, aber für mich wird auf diesem Blatt nicht nur ein Kampf angedeutet und abgebildet, sondern der Kampf, der erste Kampf und Mord. Zu sehen ist eine ‚typische’ bittersche Zeichnung. Vieles ist nur angedeutet, nicht vollständig gezeichnet. Linien mit Bleistift und mit Tusche; versetzt, keine durchgehenden Linien. Figuren mit Auslassungen, teils ohne Gliedmaßen, ohne Hände, torsohaft; die eine Figur schwebt über der anderen, scheint diese zu Boden geworfen zu haben.

Etwas Existentielles kennzeichnet die Bilder Eberhard Bitters, eine eigene, sonderbare Spannung und Dynamik, die sich in ihnen ausdrückt. Eberhard Bitters Zeichnungen und seine Malerei sind für mich wie eine Arbeit am Mythos, eine Abarbeitung an dem, was den Menschen bestimmt, was der Mensch ist. Anthropologische Skizzen und Arbeiten könnte man sie nennen. Sie zeigen Menschen in Zuständen. Die Art und Weise der Malerei, das Expressive und bewusst Unbestimmte, die Leerstellen – wie zum Beispiel die oft fehlenden Augen, geben diesen Bildern etwas Typologisches.

Gleichzeitig, und das ist kein Widerspruch, sondern ein Element der Verstärkung, ist das malerische Werk Eberhard Bitters von einem Moment der Erstarrung bestimmt. Wie Standbilder wirken die abgebildeten Figuren, erstarrt, angehalten in einer Bewegung. Aus den Bewegungsmomenten entstehen so Bilder, denen etwas Monumentales anhaftet. Sie wirken wie in Stein gemeißelt und manche Menschengruppe erscheint nahezu wie das Werk eines Bildhauers. Unterstützt wird diese Wirkung durch die Gestik bzw. das Gebärdenhafte der Bewegungen und die bewussten Brüche in der Proportionalität der Abbildung. Die Gliedmaßen, insbesondere die Hände, sind auf vielen Werkenüberproportional groß dargestellt. Dem Betrachter erscheint dieser Bruch in der Proportionalität jedoch nicht als fehlerhaft, die Gestik und Gebärde nicht als übertrieben: im Gegenteil, sie wirken wie ein Deutungsanker, wie zum Beispiel die geballte Faust hinter dem Rücken eines Frauenaktes oder die überproportionale Hand des Tänzers. Die übergroßen Hände, die teilweise aus dem Nichts ins Bild zu reichen, erfassen den Blick des Betrachters, nehmen ihn auf und ziehen ihn ins Bild.

Selten sehen wir nur eine Person auf den Werken von Eberhard Bitter. Zumeist sind es zwei oder drei, die in Spannung zueinander stehen. Menschen gruppieren sich, scheinen zu tanzen, doch so mancher Tanz erinnert an eine Art Totentanz. Harmonien werden gebrochen, durch den ihm eigenen Pinselstrich und die gewählten Farben, die die Menschen nicht nur nackt, sondern oft fast schon wie gehäutet zeigen. So als ob die Exponate der Körperwelten in Bewegung gerieten …

Jedoch gelingt es Eberhard Bitter – und das erscheint mir als das Mysterium seiner Arbeit – diesen, seinen Figuren nicht etwas Lebloses, Zombiehaftes , sondern im Gegenteil, etwas äußerst und zutiefst Lebendiges zu verleihen. Aus dieser Spannung entsteht das teilweise Groteske, dass dem Werk zugeschrieben werden kann. Dieses zeigt sich auch in anderen Menschengruppen: orientierungslos umherkriechende Suchende, mit leeren Behauptungen die Arme Verschränkende – die Deutungen sind offen, doch etwas Geheimnisvolles umgibt diese Gruppen, etwas Mysteriöses, das sich nicht auflösen sind. Bitters Bilder verwirren – und sind spannungsvoll zugleich. So auch die Männer und Frauengestalten, die vor übergroßen Gesichtern abgebildet sind: auch ihnen ist eine Suchbewegung eingeschrieben. Ein Über-Ich oder vielleicht auch ein großes Versprechen erscheint hinter ihnen, doch auch sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie es noch nicht gefunden haben.

An Eberhard Bitters Werken bleibt man hängen. Vielleicht sehen die einen in ihnen Gewalt, Ver-rücktes. Ich sehe in ihnen eher Typologien des nackten Lebens. Man kann Eberhard Bitter eines sicherlich nicht vorwerfen: dass er verkläre. Vielmehr könnte man sagen, er zeichnet und malt den Menschen in seinem unerlösten Status.“

Ralph Gueth

Zurück zum Seitenanfang

Hinweis

Das Copyright der Texte liegt bei den Autoren. Textstellen aus den jeweiligen Katalogen von Eberhard Bitter sind als Zitate gekennzeichnet und mit Erlaubnis entnommen. Das Copyright zu den Katalogen liegt bei Eberhard Bitter. Fotorechte werden direkt am ggf. platziertem Portrait genannt.